Georgien – Verlassene Geschichten zwischen Kaukasus und Schwarzmeerwind
Wenn du Georgien bereist, wirst du schnell feststellen, dass sich hier eine ganz besondere Atmosphäre zwischen Tradition und Verfall, Natur und Beton, Geschichte und Gegenwart entfaltet. Für dich als Urbexer, Fotograf oder Filmemacher ist dieses Land eine wahre Schatztruhe voller verlorener Orte – nicht nur wegen der oft atemberaubenden Kulisse, sondern vor allem wegen der dichten Geschichten, die in jedem bröckelnden Mauerwerk, jeder zerborstenen Scheibe, jedem mit Moos überwucherten Dachboden mitschwingen.
Die geerbten Ruinen der Sowjetmoderne
In Georgien finden sich noch zahlreiche Spuren der sowjetischen Vergangenheit. Die monumentale Architektur des Brutalismus – einst Ausdruck von Macht und Moderne – liegt heute vielerorts im Dornröschenschlaf. Du wirst auf Hotels stoßen, die einst an den Ufern des Schwarzen Meeres den Glanz sowjetischer Sommerfrische verbreiteten, wie das Sanatorium Medea in Zqaltubo, das sich mittlerweile zu einem Pilgerort für Urbexer entwickelt hat. Hier kannst du nicht nur Räume entdecken, in denen die Zeit scheinbar stehengeblieben ist, sondern auch fühlen, wie sich politische Systeme in architektonische Geister verwandeln.
Der Reiz liegt nicht nur im Visuellen. In diesen Gebäuden spürst du die Geschichten ehemaliger Kurgäste, Offiziere, Arbeiter – jeder Raum flüstert Erinnerungen. Wenn du filmst oder fotografierst, versuch, nicht nur die Ästhetik des Verfalls einzufangen, sondern auch die menschliche Dimension dieser Räume mitzubringen. Ein zurückgelassener Koffer, ein altes Portrait an der Wand, ein vergilbter Behandlungsplan – das sind deine Brücken zu früheren Leben.
Der urbane Verfall von Tiflis
Tiflis, die Hauptstadt Georgiens, bietet dir einen Kontrast der Extreme. Während die Altstadt sich zusehends in ein postmodernes, hipsterfreundliches Aushängeschild verwandelt, findest du in den Randgebieten eine ganz andere Realität. Marode Wohnblocks, teils noch bewohnt, teils leerstehend, erzählen Geschichten von Umbrüchen und sozialen Brüchen. Besonders in Vierteln wie Gldani oder im Industrieareal Didube wirst du reich belohnt, wenn du die Augen offen hältst. Hier mischen sich informelle Graffiti-Galerien mit bröckelndem Putz und improvisierten Lebensräumen.
Wenn du mit der Kamera unterwegs bist, halte inne und beobachte, wie Menschen mit diesen Räumen leben – oder eben nicht mehr leben. Das Spannungsverhältnis zwischen Nutzung und Aufgabe ist hier besonders stark. Vielleicht möchtest du eine filmische Miniatur machen, in der der Klang der Stadt – von Metro-Geräuschen über die entfernten Gebete eines Muezzins bis hin zum Kreischen der Möwen über dem Kura-Fluss – den Soundtrack zu deinem Blick auf das Verfallene bildet.
Kriegsnarben und strategische Leere
Im Norden und Westen des Landes, nahe der abtrünnigen Regionen Abchasien und Südossetien, stößt du auf verlassene Dörfer, entmilitarisierte Zonen und einst strategisch wichtige Militäranlagen. Viele dieser Orte sind schwer zugänglich und teils noch vermint oder von Grenztruppen überwacht – hier ist Vorsicht oberstes Gebot. Aber wenn du Zugang bekommst, wirst du auf Orte stoßen, die sowohl historisch als auch emotional tief bewegen.
Diese Regionen bieten nicht nur Fotomaterial im klassischen Sinne von „Lost Places“, sondern werfen auch moralische und politische Fragen auf. In deinem Projekt könntest du hier bewusst mit dokumentarischen Elementen arbeiten, vielleicht sogar Interviews mit den wenigen Zurückgebliebenen führen oder Voice-over-Texte einbauen, die das geopolitische Dilemma spiegeln. Es geht nicht nur um leere Gebäude, sondern um leere Versprechen, verlorene Heimat und stille Konflikte.
Neue Perspektiven durch Digitalisierung und Kunst
Spannend ist auch, wie sich eine neue Generation georgischer Künstler, Filmemacher und Urbexer selbst auf die Suche nach diesen Orten macht – oft nicht nur aus Neugier, sondern als bewusste Auseinandersetzung mit der eigenen Identität. In Tiflis findest du mittlerweile Ausstellungen, bei denen Fotografien von verlassenen Sanatorien oder Fabriken mit Sounddesign oder Augmented-Reality-Elementen kombiniert werden.
Wenn du dein eigenes Projekt entwickelst, denk darüber nach, wie du digitale Mittel nutzen könntest, um den Verfall lebendig zu machen. Ein interaktiver Bildband, ein VR-Rundgang durch eine verlassene Kupfermine in Chiatura oder eine Social-Media-Serie, bei der du Zuschauer*innen abstimmen lässt, wohin du als Nächstes reist – all das sind Ideen, wie du klassische Urbex-Ästhetik mit modernen Medien verknüpfen kannst.
Klimawandel, Tourismus und der Wandel des Verfalls
Und dann gibt es noch den Aspekt des Wandels: Einige Lost Places in Georgien verschwinden nicht durch Verfall, sondern durch Renovierung oder Tourismus. Die Gentrifizierung erreicht langsam auch abgelegenere Orte. Sanatorien werden zu Boutiquehotels, alte Bahnhöfe zu Kunstgalerien. Als Urbexer kannst du das dokumentieren – die Momente festhalten, bevor das Verfallene zum „Instagrammable Spot“ wird.
Doch du kannst auch kritisch fragen: Wem gehören diese Orte? Welche Geschichte wird erzählt, welche verschwiegen? Gerade in einem Land wie Georgien, das sich zwischen sowjetischer Vergangenheit, europäischer Orientierung und eigener Tradition neu positioniert, ist Urbex mehr als Ästhetik. Es ist auch politische und soziale Dokumentation.
Willst du deine Georgienreise nicht nur in Bildern festhalten, sondern in einem Kapitel deines Buches greifbar machen, dann nimm dir Zeit für die Tiefe. Suche nach Geschichten, nach Widersprüchen. Halte nicht nur die Ruinen fest, sondern auch das, was sie uns über uns selbst sagen.
Liste Georgien Locations Urbex, Lost Places und Modern Ruins
Georgien bietet eine beeindruckende Vielfalt an verlassenen Orten, die sich ideal für Urban Exploration (Urbex), Fotografie und Filmprojekte eignen. Hier ist eine umfassende Liste bemerkenswerter Lost Places und moderner Ruinen in Georgien:
🏚️ Verlassene Orte & Urbex-Highlights in Georgien
1. Tskaltubo – Verlassene Sanatorien
Einst ein berühmter Kurort der Sowjetzeit, beherbergt Tskaltubo heute zahlreiche verlassene Sanatorien mit beeindruckender Architektur. Die Gebäude bieten eine einzigartige Kulisse für Fotografen und Filmemacher. Einige der Sanatorien sind frei zugänglich, während andere möglicherweise Genehmigungen erfordern.
2. Chiatura – Die Seilbahn-Stadt
Chiatura, bekannt für seine stillgelegten Seilbahnen und verlassene Industrieanlagen, bietet eine faszinierende Mischung aus urbaner Verfallskunst und sowjetischer Geschichte. Die Stadt ist ein Paradies für Urbex-Enthusiasten.
3. Akarmara – Geisterstadt in Abchasien
Akarmara, einst eine blühende Bergbaustadt, ist heute eine verlassene Siedlung mit überwucherten Gebäuden und leerstehenden Wohnungen. Die Atmosphäre ist sowohl unheimlich als auch faszinierend.https://www.prosieben.de+1https://www.prosieben.de+1
4. Palast von Geguti
Die Ruinen des mittelalterlichen Palastes von Geguti bieten einen tiefen Einblick in Georgiens königliche Vergangenheit. Der Ort ist besonders für Geschichtsinteressierte und Fotografen attraktiv. Abandoned in 360
5. Katskhi-Säule
Ein einzigartiger Ort, an dem ein kleines Kloster auf einem 40 Meter hohen Kalksteinmonolith thront. Obwohl der Zugang zur Spitze eingeschränkt ist, bietet die Umgebung beeindruckende Fotomotive. Wikipedia
6. Modinakhe-Festung
Diese verlassene Festung in der Region Imereti bietet spektakuläre Ausblicke und eine reiche Geschichte. Ideal für Fotografen, die historische Ruinen in abgelegener Lage suchen. Wikipedia
7. Cheremi – Historische Stätte
Die Ruinen der antiken Stadt Cheremi umfassen Kirchen, eine Zitadelle und andere historische Strukturen. Der Ort ist ein Schatz für Archäologie- und Geschichtsliebhaber. Wikipedia
🎥 Tipps für Fotografie & Filmprojekte
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Genehmigungen einholen: Einige Orte erfordern offizielle Genehmigungen für das Betreten und Fotografieren.
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Sicherheitsausrüstung: Tragen Sie festes Schuhwerk, Handschuhe und ggf. einen Helm.
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Lichtquellen: Eine starke Taschenlampe oder Stirnlampe ist in dunklen Innenräumen unerlässlich.
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Respekt vor dem Ort: Hinterlassen Sie keinen Müll und beschädigen Sie nichts.
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Begleitung: Besuchen Sie abgelegene Orte möglichst nicht allein.